Aktuelles

Sonntag, 6. Oktober 2019

Das Fritz Festival 2019: Ein Denkanstoß

Einst aus RockRadio B und Radio4U als erster Jugendsender der öffentlich-rechtlichen Medienanstalten hervorgegangen, mauserte sich Radio Fritz zum Paradebeispiel des deutschen Jugendprogramms in der Radiowelt, fand dabei bundesweit seither viele Nacheiferer und wirft damals wie heute ein besonderes Auge auf HipHop. So war „Connected“ der Stereo MC’s der erste geplante Song am Morgen des 1. März 1993.

Seitdem ist viel passiert. Das einstige Experiment, als eines der ersten medialen Ost-West-Projekte nach dem Mauerfall, fand auch über Berliner und Brandenburger Grenzen hinaus offene Ohren in der jungen Bevölkerung. Gleichzeitig lässt auch HipHop in Deutschland auf eine aussagekräftige Erfolgsgeschichte zurückblicken. Das Gefühl breitet sich aus, dass seither nicht nur viele junge Menschen mit Fritz vom rbb groß geworden sind, sondern auch ganze Musikgenres. 

Etliche Konzerte wurden von Fritz arrangiert, eigene Sendungen für das Genre entworfen und von bekannten Gesichtern der Szene repräsentiert. Aber ein Höhepunkt sollte länger auf sich warten lassen. Das erste hauseigene Festival getreu dem Motto „Irgendwas mit Rap“. Die Sendung, die seit 2013 von Visa Vie moderiert wird und dabei auf zwei Stunden sympathisches Entertainment mit meist hochkarätigen Gästen bietet, schaffte es nun auf die Bühne des IFA Sommergartens in Berlin. Natürlich mit Visa Vie als Moderation und den erfolgreichsten Acts, die deutscher Rap aktuell zu bieten hat. An diesem ersten Septemberwochenende teilten sich RIN, Mero, Yung Hurn, Juju und einige unverhoffte Special Guests wie Loredana die Open Air Bühne. 

Aber von vorn. HipHop, das ist schon lange keine kleine Bewegung des New Yorker Untergrunds mehr. Also schon, aber darüber hinaus eben bedeutend vielseitiger. Eine Jugendkultur, die längst keine mehr ist, sondern sich durch alle gesellschaftlichen und demographischen Schichten ihren Weg bahnt und den Menschen eine Stimme schenkt, die sonst nicht zu Wort kommen, die keiner hört und für die sich keiner interessiert. Wie passt das zusammen, mit einem Festival voller Chartstürmer, bei angenehmen Spätsommer Temperaturen und zumeist privilegierten Besuchern, von dem gerade noch die Rede war? Von dem anfänglichen schmutzigen Gassen, der „Straße“, ist im Sommergarten einer Messegeländes nicht mehr viel übrig geblieben. Das wird dem radiotauglichem „Lalala“ und „Lelele“ gerne vorgeworfen. Und da nehme ich mich selbst nicht mal heraus. 

Aber, HipHop war doch für alle da. Was ist aus "Wenn du’s magst dann bist du cool, wenn du’s nicht magst bist du ein Bastard" geworden? Reicht das  nun nicht mehr aus? Zwischen, „Wer ist wegen HipHop hier?“ und dem Verteufeln prominenter Spotify-Playlists gerät gerne einmal unser Mindset in Vergessenheit. Und ich sage ganz bewusst unser Mindset, denn was wenn nicht HipHop bringt Menschen zusammen? Das passiert im immer noch in den Kinderschuhen steckenden zwanzigsten Jahrhundert nunmal nicht mehr ausschließlich auf Battle Cyphers, zwischen B-Boys und Sprayern oder Discman und Boombox. Auch wenn ich nachvollziehen kann, wenn die „good old times“ aufrichtigen Realkeepern nachhängen. So haben sie doch ihrer Szene aufgeholfen. Und ja, das stimmt, aber HipHop’s growing up meine Freunde. Und das passiert nunmal in der fortgeschrittenen Welt, wie sie eben heutzutage ist. Und in dieser Welt rezitieren Kids auf dem Pausenhof statt Tony-L zwangsläufig eben Mero und Konsorten. 

But back at it: Unseren Gründungsvätern gebührt jeglicher Ruhm und Ehre, denn ohne sie wären wir heute nicht in der Mitte der Gesellschaft angelangt. Und ein RIN, Mero, Yung Hurn oder Juju, die vor 6.000 Menschen in einem spießigen Messegarten der westlichen Hauptstadt performen, kommen auch nicht aus den Reihenhäusern der glamourösen Vorstadt. Darüber sprechen sie auch und verfolgen unweigerlich einen zumindest ähnlichen politischen Anspruch, wie damalige Pioniere. Aber das schiebt man jeher breitwillig beiseite.  Eine solche Veranstaltung hat ebenso ihre Daseinsberechtigung wie vermeintlich traditionelle Massenaufläufe auf Ferropolis. Denn im Prinzip finden ebendiese Künstler genauso auf dem Splash! Festival statt, wie die aus dem Boden gestampfte Live Ausgabe von „Irgendwas mit Rap“. Je mehr finanzielle Unabhängigkeit man genießt, desto unbekümmerter kann man sich auf das Ausleben seiner Kunst fokussieren. Das unterstreichen immer wieder ebenso Künstler der alten Schule. Doch ohne die Initialzündung einer Plattform wie Radio Fritz, wäre diese Form der Autonomie vermutlich nicht denkbar gewesen. Somit ist der Sender von nicht unwesentlicher Bedeutung, wenn man auf den Status Quo von deutschem HipHop schaut. Denn man war einst wütend, weil die da oben nicht zuhören wollten. Die Abgrenzung durch Sprache, Kleidung oder Verhalten war doch stets die unmittelbare Reaktion um zu zeigen: Wir sind nicht wie ihr! Wir scheißen auf euch! 

Doch Begründer wie das Jugendradio Fritz einer ist, gaben den bislang Ungehörten eine Bühne, Sendezeit und damit Aufmerksamkeit. Im Radio gespielt zu werden, gehört heute zur Normalität. Und vielen ist nicht einmal bewusst, dass es immer noch flächendeckenden Sexismus oder andere Form der Diskriminierung stattfinden, obwohl oftmals keine obszönen Ausdrücke in der rosigen Popwelt Verwendung finden. Wo liegt da der Unterschied zu Rap? Es gibt schlichtweg keinen. 

Und auch wenn Rap heutzutage zu der Kapitalanlage schlechthin zählt, die Geschäftsidee, mit der sich wunderbar und vermeintlich einfach Gewinn erzielen lässt, sollten wir Veranstaltungen wie diese in einem umfassenderen Kontext betrachten. Und vermutlich hingehen und mit Leuten ins Gespräch kommen, die offenbar den Backround bisher nicht erfasst haben, um heute hier stehen zu können und Turn Up zu schieben. Klingt alles utopisch und am Ende bin auch ich wieder genervt und schimpfe über alle, dass sie HipHop nicht verstanden haben, aber dennoch sitzen wir am Ende des Tages irgendwie mit allen im gleichen Boot und auch ein kommerziell erfolgreicher Rapper trägt letztendlich dazu bei, dass auch der Untergrund ein, wenn auch nur kleines, Stück vom Kuchen abbekommt. 

Eigentlich sollte das ein klassischer Beitrag über das Fritz Festival - Irgendwas mit Rap - werden. Herausgekommen ist nun ein wiederkehrender Konflikt. Eine Hassliebe, die mit dem momentanen Rapgeschehen in der Bundesrepublik einhergeht. Und ein Appell an alle, aber insbesondere auch an mich selbst, Menschen die Möglichkeit zu bieten sie abzuholen. Sei es zwischen Markennamen oder Glockenbeats. Denn schlussendlich geht es doch nicht darum, wer einem in den Kram passt, sondern gemeinsame Werte zu teilen. Und die HipHop Kultur steht prinzipiell für wichtige und richtige Werte ein. Sollte es nicht vordergründig um ebendiese Werte gehen, als die „Marke“ HipHop?

Ein Denkanstoß.


Text: Annika Schwarze
Bild: Radio Fritz/Four Artists 

Montag, 16. September 2019

Über #wirbleibenmehr, das Kosmonaut Festival 2019 und was die Landtagswahlen in Sachsen damit zu tun haben

Chemnitz Anfang Juli 2019: Es sind angenehme 24 Grad an diesem Donnerstagabend, als sich dutzende Menschen am Karl-Marx-Monument im Herzen der Stadt versammelten. Doch nicht nur da tummeln sie sich, die Jugendlichen, Erwachsenen, Eltern, Kinder und Renter - und eigentlich alle friedliebenden Menschen dieser Stadt. Und des ganzen Landes. Nahezu 50 Locations, verteilt im gesamten innerstädtischen Raum, öffneten ihre Pforten für eine nochmals vielfache Anzahl an kulturellen Angeboten wie Musik, Comedy, Workshops und Diskussionsrunden. An diesem Abend erstrahlte die sächsische Großstadt in allen erdenklichen Farben, in Freude und Akzeptanz, zu den Klängen musikalischer Hochkaräter wie Herbert Grönemeyer, Alligatoah, Tocotronic oder Fatoni. Fast ein Jahr nach dem #wirsindmehr Konzert, welches als Reaktion auf ausländerfeindliche Übergriffe und rechte Demonstrationen veranstaltet wurde, möchten die Veranstalter insbesondere im Hinblick auf die bevorstehenden Landtagswahlen in Sachsen, aber auch in Brandenburg und Thüringen, Aufmerksamkeit gewinnen. Aus #wirsindmehr, wird zehn Monate später #wirbleibenmehr.

Für eine tolerante und bunte Gesellschaft.

Gegen Rassismus und rechte Hetze.

K.I.Z. Fans @ Kosmonaut Festival (© Annika Schwarze)


Tarek (K.I.Z.) auf der Mainstage @ Kosmonaut Festival (© Annika Schwarze)


Parallel dazu: Das bereits zum siebten Mal in Folge tagende Kosmonaut Festival am Stausee Oberrabenstein. Neben dem früheren Standort des Splash! Festivals in den frühen 2000ern, hat  das Kosmonaut mehr mit dem womöglichen Aushängeschild deutscher HipHop Festivals gemeinsam, als man zuvor vermuten mag. So genießt auch das Kosmonaut Festival einen vergleichbaren exklusiv Status seitens manch eines deutschen Künstlers. Mehrere Alben wurden hier angekündigt, und in diesem Jahr durften den gut 15.000 Besuchern eine exklusive K.I.Z. Festivalshow in Deutschland zuteilwerden. Doch auch abseits des Mainstreams nahmen etliche Ausnahmekünstler der Juice Reviewspalten in diesem Jahr die zahlreichen Bühnen des Festivals ein. Dabei war es egal, wie viele Feierwütige sich vor den Schauplätzen versammelten, eine aufheizende Stimmung herrschte beinahe überall. So brachten bereits am Freitag Acts wie Tua, Nura und Yassin, die allesamt in der ersten Hälfte dieses Jahres wichtige Alben für die Szene veröffentlichten, die Menge zum beben. Neben dröhnender Bässe gab es darüber hinaus vielerlei musikbezogenen Input. Erstmals in der Geschichte der Veranstaltung gab es Raum für Austausch und offene Ohren in Form der Spotify Podcast Bühne. Dort tagten der Deutschrappodcast des Bayrischen Rundfunks mit Falk Schacht und Jule Wasabi, sowie Machiavelli - der Rap und Politik Podcast mit Jan Kawelke und Vassili Golod. Letztere zogen Serious Klein als Special Guest heran und sammelten sogleich Material für ihre neue Episode („Gott, komplex“ - zu hören auf Spotify, iTunes und der in der ARD Mediathek).


Yassin auf der Kosmo Wash Stage @ Kosmonaut Festival (© Annika Schwarze)

Doch das Kosmonaut Festival wäre nicht das Kosmonaut Festival, wenn sich die Initiatoren rund um die Band Kraftklub nicht wieder einmal etwas ganz besonderes ausgedacht hätten. Schier unentwegt rankten sich auch in diesem Jahr die Gerüchte um den beliebten Slot des geheimen Headliners. Mit einem schnippischen Grinsen kündigten Felix, Till, Steffen, Karl und Max den diesjährigen Artist an und übertrafen sich schließlich mal wieder selbst, als der schwarze Vorhang letztendlich fiel, die Neugierde vor der Bühne ihren Hochpunkt erreicht hatte und plötzlich H.P. Baxxter auf der Bühne stand. Mit viel, wirklich sehr viel Pyrotechnik, und damit meine ich insbesondere eine funkenwerfende E-Gitarre, exklusiven Scooter Cheerleadern und auserlesenem deutschen Techno, fand ein unfassbarerer Rave statt, an dem tatsächlich ein jeder seine Freude hatte. Schnell wurden die ausdrucksstarken drei magischen Wörter des Scooter Jargons, und wir wissen alle welche ich damit meine, zum Running Gag des gesamten restlichen Wochenendes. Niemand hatte wohl damit gerechnet und ebenso niemand hatte jemals daran geglaubt, so etwas wirklich zu brauchen. Doch die in Scharen erschienenen Festivalbesucher wurden eines besseren belehrt.

Doch der aufreibende Auftritt von Scooter sollte weitaus nicht das einzige Highlight bleiben. Denn die traditionelle Aftershow der Drunken Masters stand noch bevor. Das gewohnt powervolle Set zwischen den charakteristischen, sich drehenden Bürsten der Carwash Stage, versammelte zum krönenden Abschluss des Wochenendes noch einmal alle auf der kleinen Bühne, die zu feiern wussten. So geschah es, dass sich K.I.Z, BHZ, Felly, Larissa Rieß aka Lari Luke und Felix Brummer euphorisch in den Armen lagen und das diesjährige Kosmonaut Festival zu Wonderwall und Don’t Look Back In Anger ausklingen ließen.

#wirbleibenmehr und das Kosmonaut Festival bewiesen wieder einmal, dass man in Chemnitz und in ganz Sachsen nicht nur auf Hass und Ausgrenzung stößt. Kein anderes Festival in Deutschland kann von sich behaupten, so einen entspannten und liebevollen Vibe zu haben. Wo man das Gefühl hat, mit offenen Armen von jedem einzelnen begrüßt zu werden. Wo jeder so sein kann, wie er möchte und für einen Augenblick alles außerhalb der Tore des Stausees Oberrabenstein hinter sich lassen kann. 


Chemnitz, Anfang September 2019: Sommerliche 27 Grad am Tag des meteorologischen Herbstanfangs, sowie des Wahltages in Sachsen. Von dem harmonischen Vibe ist zwei Monate später nicht mehr viel zu spüren. Dafür eine Wahlbeteiligung von 66,4%, und damit ein Anstieg um fast 19 Prozentpunkte zur vorigen Landtagswahl, die auf bewegte fünf Jahre schließen lässt. Bewegte Jahre, die die Gesellschaft spalten, so sagt man. Eine Partei im sächsischen Landtag, bei der man erleichtert ist, dass sie nur haarscharf am Wahlsieg gescheitert ist. Dennoch zugleich, heutzutage, nicht einmal verwundert ist.

Aber solange engagierte Menschen weiter kämpfen und Veranstaltungen wie das Kosmonaut Festival oder #wirbleibenmehr auf die Beine stellen, gibt es vielleicht doch noch so etwas wie eine Perspektive. Denn was gibt es sonst, was Menschen so wunderbar und bedingungslos miteinander verbindet, außer Musik.

Text & Bild: Annika Schwarze
Weitere Bilder des Kosmonaut Festivals hier.

Mittwoch, 24. Juli 2019

Über die HipHop Producers Conference - und Tua im Interview

Wie viele Bestandsaufnahmen von Rap in Deutschland im Jahr 2019 beginnt auch diese hier damit, wie groß, erfolgreich und bedeutsam das Genre mittlerweile ist. Aber sorgte in jüngster Vergangenheit eher das Trauerspiel um die Hype-Awards für Aufsehen, so blieb ein weiteres Event  von und für die Szene beinahe unerwähnt: die beatcon. 

Die „HipHop Producers Conference“ tagte im vergangenen Juni zum ersten Mal und versammelte auf zwei Stages ein ganzes Wochenende lang viele Top-Producer, Experten und Fans im Düsseldorfer Boui Boui Bilk. Neben wichtigen Live-Themen wie FOH-Mixing oder Auto-Tune, wurden ebenfalls allgemeine und essentielle Themen der HipHop Produktion vorgetragen. So klärte Sebastian Möllmann, Anwalt für Medienrecht, über rechtliche Basics auf, HipHop.de lud zum Business Panel über das Streaming-Zeitalter und Produzenten wie Jugglerz, Miksu & Macloud oder Tua boten Einblicke in ihre Arbeitsweise. Des Weiteren konnte an zahlreichen Workshops für Einsteiger teilgenommen und sich in der Community-Area an einem der Infostände einiger Partnerfirmen auch abseits der Bühnen weiter ausgetauscht werden. So erinnerte die beatcon durchaus an eine klassische Messe, verlor durch ihren nerdigen Charme jedoch nicht den Bezug zur Szene. Vor allem nicht, wenn Moderator der SNIPES-Stage Falk Schacht plötzlich mit einem Megafon in der Hand durch die Location irrt und zum nächsten Vortrag bittet. Oder kopfnickend im Gang flaniert, weil nebenan auf einem bereitgestellten Klavier die Melodie von Still D.R.E ertönt. 

Live Musik schaffte es an diesen Abenden jedoch auch noch auf die Bühnen. Newcomer Elias und Kritikerliebling Tua ließen jeweils mit einem exklusiven Gig die gehaltvollen Tage ausklingen. Unmittelbar vor seinem Auftritt, durfte ich Tua zum Interview über Producing und sein im März erschienenes Album treffen.

Dein letztes Solorelease liegt schon etwas länger zurück, wie hat sich deine Herangehensweise an das Musikmachen verändert? Inwiefern hast du dich dahingehend, auch mit Blick auf andere Projekte, denen du in dieser Zeit nachgegangen bist, weiterentwickelt? 

Die Art und Weise wie ich Musik mache hat sich auf jeden Fall verändert. Wenn du eine Klammer zwischen „Grau“ und dem was ich jetzt gemacht habe setzt, dann ist das, was „Grau“ und mein selbstbetiteltes Album vereint eine sehr persönliche und themenlastige Herangehensweise. Die Eps, die ich dazwischen veröffentlicht habe, waren allgemeiner und abstrakter. Der Unterschied ist, glaube ich, dass ich besser im Songwriting geworden bin. Ich schreibe viel klassicher Songs und versuche es kohärent zu halten. Dann im Vergleich zu vielen anderen Sachen, die ich davor gemacht habe, vielleicht auch eine Art der Verdichtung.

Wie hast du eine Auswahl der Themen getroffen, die auf deinem Album stattfinden? Hast du dich dabei auf einen bestimmten Zeitraum deines Lebens fokussiert?

Die Sachen, die ich jetzt auf dem Album bespreche, sind über viele Jahre passiert. Es sind  große Umschwünge in meinem Leben gewesen, große Momente, die aber auch wahrscheinlich viele Andere haben. Ich habe mir, als ich angefangen habe das Album zu machen, immer gesagt, dass ich jetzt die großen Songs schreiben möchte. Also nicht irgendetwas flächiges über einen Abend den ich mal hatte, sondern jetzt wollte ich den Song über alle Abende schreiben, die ich hatte. Den grundsätzlichen Song. Das ist das Ding. Da kommt auch die Schwere her, die das Album hat. Weil man mit dieser Herangehensweise natürlich viel weniger aus dem Handgelenk heraus arbeitet.

Hat sich der Prozess der Entstehung einzelner Songs auch über die Jahre entwickelt? Wie hast du den Klang für dein Album gefunden, der sich auf eine Art und Weise wie ein roter Faden durch jeden Song zieht?

Mit dem vorhin erwähnten Weiterentwickeln trifft es das genau. Ich habe ungefähr zwei Jahre an den Songs für „Tua“ gearbeitet. Um das alles am Ende zusammenzuführen, damit es nicht wie Kraut und Rüben klingt, hab ich dann vielleicht das letzte halbe Jahr gebraucht. Da habe ich dann auch mit Wanja Janeva, die ganz viele Backing Vocals gemacht hat und Geigen sowie Gitarren aufgenommen hat, zusammengearbeitet. Ich habe viele Sounds ausgetauscht, die ich irgendwann mal ausgewählt hatte und habe dann versucht Stringenz in dieses Album reinzukriegen, das ja sehr divers ist. Da gibt es Songs wie „FFWD“ und es gibt Songs wie „Wenn ich gehen muss“. Das sind schon zwei paar Schuhe. Wie bekommt man nun hin, dass es gleich klingt, bzw. nicht gleich, aber so, dass es nicht so klingt wie von zwei verschiedenen Künstlern. Das war dann eine Challenge für mich.

Du hast gerade die Diversität des Albums angesprochen, ziehst du für dich selbst Genregrenzen, da man dich primär als HipHop Artist einordnet?

Im HipHop gibt es keine Genregrenzen für mich, aber was sehr oft passiert ist, dass ich Songs mache, wo ich denke, dass ich das nicht wirklich bin. Ich glaube es geht vielen Artists so. Wenn man Pop Songs schreibt versucht man automatisch, das nicht zu komplex und abstrakt werden lassen. Mir geht es dann oft so, dass ich es nicht mehr fühle. Das ist immer noch ein guter Song aber eben nicht meiner. Ich bin kein einfacher Typ. Das ist tatsächlich total das Gefühlsding. Ich hatte es auch, dass ich Leuten Songs vorgespielt habe und die waren so „nein, irgendwie ist das kein Song für dich“. Oder auch andersherum, dass ich gedacht habe „hey, das geht gar nicht“ und mein Umfeld war so „hä, wieso? Voll geil!“ Zum Beispiel war ich mir bei „Wem mach ich was vor“ am Anfang etwas unsicher. Dann haben mir verschiedene Leute immer wieder gesagt, dass der Song übel fett ist und voll zu mir passt. Dann habe ich mich noch einmal darangesetzt und gemerkt, dass ich nur noch ein paar Gefühlsschrauben für mich verstellen muss.

Du legst also bewusst Wert darauf, was andere Leute von deiner Musik halten? Vereinfacht es für dich deinen eigenen Ansprüchen an deine Musik gerecht zu werden?

quelle: chimperator, david daub
Mit jedem Jahr das ich älter werde, weiß ich die Meinung von Leuten mehr zu schätzen. Und zwar eigentlich quer durch die Bank. Als ich jünger war habe ich auf gar niemanden gehört und dachte, dass ich alles voll gut weiß. Auf diese Art und Weise kann man natürlich sperrige und vielleicht auch, wenn man Glück hat, coole und störrische Eselmusik machen, die aber auch die Gefahr birgt, dass die Leute das einfach nicht fühlen. Man hat einfach nur ein Sensorium parat und man ist empfänglich für eine bestimmte Art von Musik und bestimmte Art von Prägung und so etwas. Und je älter ich werde, desto mehr möchte ich auch Musik machen, bei der ich mir sicher bin, dass das, was ich bei den Leuten auslösen möchte, auch passiert. Ein Esel wäre ich, wenn ich mir einbilden würde, dass ich im Alleingang entscheiden kann, ob es bei Leuten funktioniert oder nicht. Will sagen, ich habe jetzt viele Leute in meinem Umfeld mit denen ich gerne Musik höre und von denen ich ganz viel lernen kann.

Um noch einmal auf den Ursprung eines jeden Songs zurückzukommen, hast du eine bestimmte Vorgehensweise, sodass beispielsweise zuerst der Beat und dann die Lyrics feststehen? 

In den meisten Fällen kommt die Idee als Erstes. Beispielswiese tritt ein bestimmtes Gefühl immer wieder auf. Nehmen wir mal „Wem mach ich was vor“. Das ist so etwas, was in meinem Leben immer wieder  passiert ist. Dass ich rumgelaufen bin und Leuten gesagt habe, dass ich über irgendetwas hinweg bin. Eigentlich war ich aber überhaupt nicht darüber hinweg, sondern immer noch im Kampf mit mir. Dabei hab ich dann gemerkt, dass das etwas Grundsätzliches ist, das ich auch auch bei anderen Leuten beobachten kann. Alleine die Aussage „mir geht’s voll gut“ - das schreit ja eigentlich, dass es eben nicht so ist. Und wenn so etwas immer wieder auftritt und ich mir immer wieder in mein Handy oder in meine endlosen Textsammlungen Zeilen aufschreibe, die in diese Richtung gehen, dann merke ich irgendwann, dass das ein Song ist. Dann überlege ich mir von der Idee ausgehend, was für eine musikalische Form es dafür gibt. Also „Wem mach ich was vor“ klingt für mich beispielsweise während der ganzen Strophe wie eine Party, die im Nebenzimmer stattfindet. Ich fand es sinnvoll, dass man so slightly neben der Party ist und sich seine Gedanken macht. Und dann geht, jedes mal wenn der Refrain kommt, kurz die Tür auf und das ist in den Gedanken wie ein Überfall. Das meine ich auch mit Verdichtung, dass ich versuche von der Idee ausgehend die richtige Form für so etwas zu finden.

Hast du dann direkt eine konkrete Vorstellung, wie der Song klingen soll?

Ja, das hat ganz viele emotionale und technische Komponenten. Wenn ein Song beispielsweise sehr textintensiv ist, wo es dir also wichtig ist, dass viel Text vermittelt wird und dass die Leute dir zuhören, dann weiss ich nicht wie sinnvoll es ist, wenn man einen 150 bpm Doubletime Beat machen möchte. „Vater“ zum Beispiel lässt sehr viel Raum für den Textinhalt. Bei „Tiefblau“ dagegen passiert musikalisch genau das gleiche wie inhaltlich. Die Idee wurde erst  greifbar, als ich mir gesagt habe, dass ich das wie eine technische Beobachtung des Ganzen beschreiben muss. „Wir steigen auf“, da singe ich nach oben, „wie Luft im Wasser“. Im Hintergrund laufen Synthies, die meiner Meinung nach wie Wasser klingen.

Kannst du es nachvollziehen, wenn Leute sagen, dass ihnen entweder der Beat oder die Lyrics egal sind, solange das andere für sie eine größere Aussagekraft hat?

Ja natürlich. Ich höre oft, dass Leute sagen, dass ihnen einfach der Beat gefällt, ohne Ahnung vom Text zu haben. Das ist voll okay finde ich. Es kommt ja auch immer darauf an was man von einem Song möchte. Also wenn du einen Track machst, der dafür gedacht ist, dass die Leute tanzen, dann sollte man vielleicht nicht philosophieren.

Bei deinem Vortrag auf der Beatcon gehst du insbesondere auf den Track „Vorstadt“ ein. Was macht ihn für dich so außergewöhnlich?

Der Song ist für alles, worüber wir gerade reden, ein gutes Beispiel, weil da ganz viel von dem enthalten ist, was ich an Artists interessant finde und was ich als Artist versuche zu sein. Das heißt, dass ich meine persönliche Geschichte klar gesehen und da rein gewoben, aber gleichzeitig so offen gelassen habe,, dass sie trotzdem noch für viele Leute genauso gültig ist. Super viele Leute haben mir zu dem Song geschrieben, dass es bei ihnen genauso war und das, obwohl ich ganz explizit irgendwelche Leute nenne, die die natürlich nicht kennen und die du auch nicht googeln kannst. Da liegt der Reiz drin. Es allgemeingültig und persönlich zugleich zu halten. Dann ist natürlich der Faktor Produktion und irgendwie wieder dieses blöde Wort Verdichtung darin. Ich beschreibe drei Abschnitte in meinem Leben, die zur gleichen Zeit drei verschiedene Ären von HipHop waren. Entsprechend hat jede Strophe jeweils den Sound dieser Zeit. Dann sind mit Afrob für die erste und Bausa für die letzte Strophe auch noch zwei Gäste aus der jeweiligen Zeit mit an Board und wir haben beim Mix darauf geachtet jede Strophe so zu mischen wie es damals üblich war.  Ich habe bei „Vorstadt“ versucht jede Möglichkeit um eine bestimmte Aussage zu treffen auch zu nutzen.   

Ist die Auffassung, einen Song als Gesamtwerk zu betrachten, der Grund dafür, warum du auf deinem Album auf ein typisches Feature verzichtet hast? Stört ein klassischer Featurepart das Konzept?

Ich hatte einfach so viel Stuff und so viel Zeug, was ich selbst schon erzählen wollte, dass ich irgendwann gemerkt habe, da ist jetzt keine Notwendigkeit oder eigentlich nicht einmal mehr der Raum da, um Leute darauf zu lassen, ohne dass es wahllos wird. Deswegen habe ich diese kleinen Features gemacht, es gibt ja diverse Leute die auf dem Album sind, die einen Cameo Auftritt machen, und dann fand ich es cool, aber ich hatte einfach keinen Platz für große Features. Es kann sein, dass ich das noch irgendwann mache, für das Album war es aber nicht das richtige Ding.

Ist das Produzieren für oder mit anderen Künstlern ein Ventil für das, was du nicht auf deinem eigenen Album siehst, was du allerdings dennoch als künstlerisch wertvoll ansiehst?

Ja voll. Wir haben heute, gerade aktuell wo wir das Interview führen, mit den Orsons eine neue Single rausgebracht und da fahre ich ja ganz andere Filme. Und das sind da ja auch nicht unbedingt meine! (lacht) Früher habe ich das scheiße gefunden und habe mich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, aber jetzt bin ich irgendwie erwachsen genug oder ich freue mich darüber mehr, weil es mir die Möglichkeit gibt zu sagen, dass ich auch einfach mal nur ausführend sein kann und mache was ihr sagt. Ich finde das auch voll okay, weil eure Meinung auch cool ist. Also ich glaube, dass ich da viel offener geworden bin und vielleicht auch aus diesem Punkt heraus der Wunsch kommt zu sagen, hey, lass mal schauen was passiert, wenn ich mich ein bisschen zurücknehme. Vielleicht sogar auch bei meinem Solozeug, das kann schon sein, dass das irgendwann passiert.

Wie bist du überhaupt dazu gekommen, dich so darauf zu fokussieren, alles bis ins kleinste Detail selber zu produzieren? Ist Produzieren nicht zunächst abwegiger, als einfach auf diverse Beats zu rappen?

Ich habe damals tatsächlich eigentlich gleichzeitig mit dem Rappen und Produzieren angefangen. Am Anfang hatte ich sogar fast noch mehr Interesse am Musikmachen, als am Rappen. Bei mir kommt es sicher mitunter daher, dass ich in diesem Kaff großgeworden bin, da in der Vorstadt von Stuttgart, in Reutlingen. Ich kannte erstmal mehrere Jahre außer mir niemanden der das da gemacht hat. Deswegen habe ich mich dann auf beiden Seiten, also sowohl beim Musik rumschrauben und Sachen einspielen, als auch beim Texten und Singen und Rappen versucht.

Heute sind Viele gekommen, um dir zuzuhören und mehr darüber zu erfahren, wie du arbeitest, aber was waren Leute die dich über die Zeit inspiriert und begleitet haben? 

Über die Jahre unendlich viele. Ich habe aber auf jeden Fall schon immer einen Faible für englische Musik gehabt, und auch generell für Europäische. Als Jugendlicher habe ich mir das ganze HipHop Zeug reingezogen, weil das viel mit Haltung verbunden war und man cool sein wollte, aber eigentlich mochte ich von klein auf Techno und auch schon sehr früh Trip Hop. Ich hätte es damals nie als das benennen können, aber ich habe unter anderem The Prodigy gehört und das Faible dafür, was aus der Richtung kam, das hat auch nie richtig aufgehört. Kruder & Dorfmeister zum Beispiel, das war Downtempo Zeug aus Wien, das war eigentlich so Loungemusik. Eine südeuropäische Variante von Trip Hop, wenn man so will. Mucke zum am Strand chillen oder im Café hören. Und es war geil produziert! Das ist ja eigentlich alles Zeug, was irgendwie über England reingeschwappt ist. Von Jamaika nach England und von da nach ganz Europa. Dub-Elemente, Drum&Bass, Jungle, Trip Hop und so weiter. Genau, das war immer mein Ding. Ich meine, ich mochte auch Dubstep, bevor es dann zu EDM wurde, und ich mochte auch Grime, ich mag es immer noch! Irgendwie ist da was da, was die gleiche Temperatur wie meine Seele hat. Regnerisch. (lacht) Spaß! 

Die beatcon erhob den Anspruch eines Events für all diejenigen, die ansonsten oftmals unerwähnt bleiben - mit Erfolg. Man kann also gespannt sein, ob und wie die Convention in Zukunft in die zweite Runde geht.



Text: Annika Schwarze

Bild: beatcon, David Daub

Mittwoch, 1. Mai 2019

Let's talk about #4: Hip-Hop und Feminismus


Für die Juice, dem einzigen noch regelmäßig in Deutschland erscheinenden Hip-Hop Printmagazin, schreiben etwa drei weibliche Autorinnen pro Ausgabe. Währenddessen lädt die Backspin zur jährlichen „Frauen im Rap“ Krisensitzung, die mit der Zeit zwar an Raffinesse gewinnen mag, schlussendlich aber eher ein Anlass für verbitterte Frauen ist, sich weiterhin über andere Frauen zu beschweren und das Problem zu verleugnen, weil sie selber nicht betroffen sind, anstatt anderen Props zu geben und sie zu unterstützen. Diese Lächerlichkeit führt bis hin zu Leserbriefen, die female Titelstorys und Meinungsäußerungen fordern. Immer noch sitzen in Battle Rap Jurys oftmals keine Frauen und wenn über ein neues Album diskutiert wird, übernimmt die Frau höchstens die Moderation der beiden verhandelnden Akteure. Zwar wurde noch nie in diesem Ausmaß über „Frauen im Rap“ gesprochen, doch was hier fehlt sind nicht die Frauen, sondern der Feminismus und die Gleichberechtigung aller. Und das sind nur einige Beispiele. 

"Ihr nennt es Feminismus, ich nenn es einfach Menschlichkeit" - Juju 
In diesem Artikel soll es nicht wie so oft darum gehen, Privilegierte bloßzustellen oder Raptexte zu verreißen, sondern auf den Konflikt zwischen der Hip-Hop Kultur und seinem nach außen tretenden Standing aufmerksam zu machen und an vertretbare Werte, statt an Kontostände zu appellieren. Zusätzlich sei erwähnt, dass Kontroversität in der Kunst und Hatespeech von einander zu trennen sind und nicht miteinander einhergehen!

Hip-Hop, das ist die Kultur, die für alle da ist. Wo es egal ist,   wer du bist und woher du kommst. Wo du sein kannst, und aus dir machen kannst, was du möchtest. Wo alles erreichbar scheint. Das ist die Vorstellung, die ich in meinem Kopf mit Hip-Hop assoziiere. Der Spiegel der Gesellschaft, heißt es außerdem oft. Und da in der Gesellschaft Sexismus und Diskriminierung existiert, existiert dies im Hip-Hop natürlich auch. Ganz klar. Und niemand stört sich daran. Also schon, aber solange es keinen Umschwung innerhalb der Gesellschaft gibt, muss es den im Hip-Hop selbstverständlich auch nicht geben. Dieser Eindruck wird mir oft vermittelt. Es kommt mir so vor, als würden Ausreden gesucht um abzulenken. Um zu relativieren. Um seine eigene Position nicht zu verlieren und erfolgreich zu bleiben. Das gilt insbesondere für Rap, das wohl nach außen hin bedeutendste Element von Hip-Hop.



Verfechter der Kultur sind sich darüber einig, dass nicht jeder der rappt, automatisch Hip-Hop ist. Und gleichzeitig nicht jeder, der Hip-Hop und seine Werte lebt, zwangsläufig rappt. Vor allem sind sie dieser Meinung, wenn die Gesellschaft Künstler, die ein Fehlverhalten an den Tag legen und der gesamten Community schaden, der Hip-Hop Kultur zuordnen, nur weil sie rappen. Fühlen sich diejenigen denn auch ebenso gestört, wenn Frauen sich plötzlich anmaßen, ihre Positionen einzunehmen, oder sich für Gleichberechtigung einsetzten? Drückt das nicht den Verkaufswert, wenn man offen kundtut, dass in dieser Kultur jeder willkommen ist?



Innerhalb dieser Debatte tun sich viele Fragen auf. Denn man kann nicht bestreiten, dass erfolgreiche Musiker, die vielleicht rappen, aber nicht Hip-Hop verkörpern, der Kultur insgesamt helfen. Wenn Rap als ein Teil von Hip-Hop erfolgreich ist, auch wenn der Musiker nicht selbst Teil der Kultur zu sein scheint, ist nur logisch, dass Hip-Hop automatisch mehr Aufmerksamkeit bekommt.



Wenn dieses Verständnis gegeben ist, kann man auch nachvollziehen, weshalb Hip-Hop sich auf seinem Status als „Spiegel der Gesellschaft“ vermeintlich ausruht. Denn wenn Hip-Hop wirklich seine Werte verkörpern würde, es tatsächlich egal ist, wer du bist, ob du eine Frau, oder ein Mann bist, woher du kommst und an was du glaubst, dann könnten sich doch genau diese Vertreter, die sich Hip-Hop dick auf die Fahne schreiben, für mehr Gleichberechtigung einsetzen. Eine Vorreiterrolle für die Gesellschaft einnehmen und sich von Künstlern zu distanzieren, die mit ihrem Sprechgesang zwar ein Stilmittel verwenden, was Hip-Hop ausmacht, aber dessen Werte in ihren Texte mit Füßen getreten werden. Hip-Hop könnte der Gesellschaft den Spiegel vorhalten, anstatt dessen Verhaltensweisen zu reproduzieren. Vor allem in der heutigen Zeit, in der Medien und Künstler einen größeren Einfluss haben, als jemals zuvor. Stattdessen wird sich über Pauschalisierungen beschwert, die Hip-Hop als Kultur schaden, weil jemand, der offensichtlich nicht die damit verbundenen Werte teilt, negative Publicity auf die gesamte Kultur zieht. Aber anders herum wird sich nicht von Künstlern, die im Mainstream stattfinden und dabei fragwürdige Inhalte verbreiten, distanziert. Natürlich ist die Reichweite groß, wenn man über die Chartspitzen spricht. Und diese Zielgruppe, die auf dem Pausenhof Lyrics über Schlampen und Nutten rezitieren, springt nunmal ab, wenn es plötzlich um Gleichberechtigung geht. Wenn es darum geht, dass auch die Meinungen von Frauen relevant sind und auch andere gesellschaftliche Minderheiten im Hip-Hop, so wie ich ihn kennengelernt habe, dazugehören. 


Es wird immer darüber gesprochen, dass Rapper es tunlichst unterlassen sollen, frauenverachtende Texte zu schreiben. Das ist natürlich gut und wichtig und leistet einen Beitrag zu mehr Gleichberechtigung, aber warum ist es immer noch okay, dass einige Medien weiterhin unkritisch über die populären Musiker berichten, ihnen eine Plattform bietet und, weil es verkauft, aus allem eine Story schlägt?

Letzteres greift vor allem, wenn es nicht um Musik geht. Rapper XY hat Beef, einen neuen Werbedeal, eine Rolle in einem Kinofilm. Alles bekommt eine News. Alles füttert die Mäuler derjenigen, die sich die Verfasser menschenfeindlicher Texte zum Vorbild nehmen. Es wird so dargestellt, als sei dieser Künstler Hip-Hop, sonst würde er dort ja nicht stattfinden. Das impliziert, dass jemand, der feindliche Aussagen über Frauen, Homosexuelle oder anderen Minderheiten tätigt, Hip-Hop sei. 

Warum schaffen insbesondere Medien keine Awearness? Warum wird bei einer Neuvorstellung eines Albums höchstens am Rande erwähnt, dass es fragwürdige Inhalte enthält und warum wird nicht verdeutlicht, dass das auf keinen Fall Hip-Hop ausmacht? Warum findet so etwas dennoch täglich in diesen Medien statt? Weil es verkauft. 

Solange Hip-Hop, und alle die sich darunter verstehen, nicht für Jedermann verdeutlicht, dass dort jeder Mensch sein darf, egal wie und wer er ist, wird mit großer Wahrscheinlichkeit auch kein positiver Impact auf die Gesellschaft erzielt. Und das, obwohl gerade heutzutage die Chance bestünde, auf dieses Problem aufmerksam zu machen. Wann wird der Gesellschaft mal der Spiegel vorgehalten? Wann wird verdeutlicht, dass Hip-Hop menschenverachtende Inhalte nicht unterstützt und Akteuren, die sich der Elemente dieser Kultur bedienen, ohne die Werte zu teilen, keine Plattform bietet und sich von ihnen distanziert? Und das, auch wenn damit ein Verlust von Quote und damit Geld einhergeht.

Rap ist so erfolgreich wie nie und noch nie war die Chance größer auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen. Das gelingt jedoch nur, wenn kontroverse Figuren außen vor gelassen, und interne Strukturen angepasst werden. Gebt jedem Menschen die Möglichkeit, die Kultur voranzubringen. Durch Mitgestaltung, Meinungsäußerung und allen weiteren Beiträgen, die dazu zu leisten sind.

Text: Annika Schwarze
Bild: Instagram @jujuvierundvierzig

Montag, 3. Dezember 2018

Visa Vie auf ALLERERSTER LESETOUR

"Das allerletzte Interview - Kapitel 1: Torpedo"


Gute sechs Monate ist es mittlerweile her, dass die markante Stimme von Bausa erstmals das langersehnte Hörbuch von Moderatorin, Schauspielerin und nun auch Autorin Visa Vie einleitete. Sechs Monate ist es er, dass sie sich vor Aufregung auf ihrer eigenen Release Party mit dem Rücken zu ihren Gästen drehen musste. "Das allerletzte Interview" heißt es, ist eine Spotify Original Crime-Story und handelt von der Protagonistin Clara, die es sich zum Ziel gesetzt hat, sich in das erfolgreichste Hip-Hop Magazin des Landes einzuschleusen, um anschließend den erfolgreichsten Rapper Deutschlands umzubringen.

So weit, so gut. Doch der Krimi Podcast konnte in dieser Zeit insbesondere mit dem Insider Knowledge der Szene, sowie der packenden Erzählweise punkten. Ähnlichkeiten zu Lebenden, oder bereits Verstorbenden, sowie zu wahren Begebenheiten sein natürlich rein zufällig. Beleidigungen, Anschläge oder ganze Stadtverbote sollten, anders als in der Story selbst, eben nicht daraus resultieren.

"Fortzsetzung folgt"


Bereits am Ende der ersten Staffel war von einer Fortsetzung die Rede. Alles andere hätten die zahlreichen überschwänglichen Kritiken vermutlich nicht auf sich sitzen gelassen. Neben der zweiten Staffel, die am 22. November ebenfalls exklusiv auf Spotify erschien und von Visa Vie verfasst und eingesprochen wurde, fielen die Namen von acht deutschen Städten, die die frisch gebackene Autorin mitsamt ihres eigenen Hörspiels bereisen würde! 

"Gut, aber was hat das mit Rap zutun?" 


Dass "Das allerletzte Interview" eine Hommage an die Rapwelt ist, ist nicht von der Hand zu weisen. Aber inwiefern kann eine Lesung dem denn nun gerecht werden? Zwischen dem tatsächlichen Vorlesen, natürlich mitsamt Unterstützung ortskundiger Special Guests und typischen Fragerunden, sowie Vorträgen über den Entstehungsprozess, blieb genug Zeit für ein Rap Quiz mit Pfeffi als Belohnung, dem ein oder anderen Hinweis auf den tatsächlichen Wahrheitsgehalt diverser Szenen oder spannenden Einblicken in die ersten Versionen der einzelnen Kapitel.

Wem also "Das Allerletzte Interview" im Kopf gelieben ist und sich für Hintergründe und vieles mehr der Story interessiert, kann sich auf einige Überraschungen gefasst machen und Visa Vie in dieser Woche noch in München, Stuttgart, Frankfurt oder Berlin einen Besuch abstatten! 


Text: Annika Schwarze

Montag, 29. Oktober 2018

Modus Mio live in Dortmund - eine Playlist feiert ihr eigenes Festival


Berlin, Dortmund. Am vergangenen Freitag und Samstag feierte Spotifys erstes hauseigenes Festival Premiere. Die Grundlage dafür war die erfolgreichste Deutschrap-Playlist des Streamingdienstes mit aktuell über 850.000 Followern. Ausgewählte Künstler repräsentierten an diesen beiden Abenden einen besonderen Modus: den Modus Mio. In der Dortmunder Warsteiner Music Hall hatte ich die Gelegenheit mir ein Bild dieses Ereignisses zu machen.


Spotify hatte anscheinend keine Kosten und Mühen gescheut, um das wahrscheinlich erste Aufeinandertreffen mit ihren Usern jenseits des Internets so sehr zu glorifizieren, wie nur möglich. So wurden noch im Eingangsbereich Festivalbändchenund kostenlose Poster verteilt, in jeder Ecke hingen Bilder der auftretenden Artists und es gab eine Fotowand, um diesen Tag mit seinen Freunden festhalten zu können. Das alles natürlich in der gelblich-orangenen Titelfarbe der Playlist.

Doch auch das Line-Up des Abends konnte sich durchaus sehen lassen. Zur Einstimmung und zwischen den Slots legten Hoe_Mies aus Berlin von Reagge und Dacehall bis zu aktuell erfolgreichem Rap aus den Staaten und Deutschland alles auf. Ansonsten sollten neben dem offiziellen Headliner Rin noch Luciano, Nura, Trettman, Bausa und zahlreiche special guests der Menge einheizen.

Der Innenraum der etwa 3.600 Menschen fassenden Halle füllte sich allmählich und die Show von Bausa rückte in greifbare Nähe. Weshalb ausgerechnet der Künstler mit der höchsten Anzahl an monatlichen Hörern auf Spotify den Startschuss abfeuerte, bleibt ungewiss. Jedenfalls eher untypisch für eine Veranstaltung dergleichen.


Das tat der Stimmung allerdings keinen Abbruch, im Gegenteil. Die ersten Bierbecher flogen durch die Luft und in der Mitte taten sich, neben einer Vielzahl hysterischer Fans, zunächst vereinzelt Moshpits auf. Vielleicht wollte man eben diese auch einfach nicht noch länger auf die Folter spannen. Schließlich harrten einige bereits seit den frühen Morgenstunden vor der Location aus. Viel mehr Zeit als für die absoluten Hits blieb zwar nicht, dafür legte Bausa noch einen drauf und bestellte sich Nura auf die Bühne, um mit ihr den gemeinsamen Track "In Berlin" von seiner Anfang des Jahres erschienenen EP zu performen.


Ganze 56 Wochen mit einer Single in den deutschen Charts gewesen zu sein, wie Bausa mit "Was du Liebe nennst", konnte der folgende Act zwar nicht von sich behaupten, allerdings sorgte Luciano in der jungen Vergangenheit besonders mit hochkarätigen Features wie Capital Bra oder Veysel für Aufsehen. Zwar kam auch bei ihm keine schlechte Stimmung auf, trotzdem kann man darüber streiten inwiefern Full-Playback und eine gelungene Show zusammengehören. Studioversionen kann ich mir nämlich auch Zuhause anhören. Luciano ist natürlich nicht der einzige, der auf bereits recordete Tonträger schwört, wenn man jedoch nach jedem Song betont, wie betrunken man ist, fällt es schnell auf, wenn die Rapimitationen nicht mehr ganz zum Track passen.


Doch der Abend war ja noch jung und die folgenden Acts vielversprechend. Mit Nura kam nun  endlich etwas Leben auf die Bühne, da sie neben drei Tänzern auch Trettmann, Remoe und SAM für ihre gemeinsamen  Tracks im Schlepptau hatte. Dazu nutze sie ihre Zeit um sich für women empowerment und gegen Sexismus stark zu machen. Musikalisch ebenfalls eines der großen Highlights: die Premiere eines Remix von "Chaya", sowie ihren unveröffentlichten und gleichzeitig unironischen Fortnite-Song, um allen Rappern einen Denkzettel zu verpassen, die zwar hypebedingt Fortnite assoziierende Titel für ihre Songs wählen, aber inhaltlich nicht darauf zurückkommen.

Die entspannten Reggae Beats, die in der Zwischenzeit durch die Lautsprecher ertönten, gaben bereits einen ersten Hinweis darauf, wer als nächstes die Bühne betreten könnte: Trettmann. Mit seinem mittlerweile einem Jahr alten Album "DIY" hat er deutschen Hip-Hop geprägt, wie lange vor ihm keiner mehr. Aber neben persönlichen und emotional schwerfälligen Themen wie der Hoffnungslosigkeit eines in Vergessenheit geratenen Teils der Bevölkerung ist Trettmann ebenso ein Synonym für absoluten Turn Up.


Das beweist aktuell kein Werk, an dem er beteiligt ist, mehr als "Standard". Dieser Track stieg nicht nur ganz mühelos auf Platz zwei der deutschen Singlecharts ein, sondern löste einen regelrechten Hype im Internet aus, der auch nach nunmehr zwei Wochen seit Release nicht abzuklingen scheint. Dass "Standard" in der Modus Mio Playlist auf den obersten Rang geklettert ist und dadurch auch an der Menge nicht vorbeigegangen ist, ist dabei logisch. Somit erreichte auch die Stimmung in der Warsteiner Music Hall ihren vorzeitigen Höhepunkt. 



Aber bevor der Headliner des Abends nicht die Bühne betreten hatte, konnte und wollte sich noch niemand auf den Heimweg machen. Rin, der überall wo er auftaucht für hitzige Stimmung sorgt, brauchte auch hier nur wenige Augenblicke, um eine komplette Eskalation des Publikums loszutreten. Selbst Nura traf man plötzlich im Moshpit an, der sich mittlerweile von der einen bis zur anderen Hallenhälfte ausgedehnt hatte. Außerdem stand sie wenig später auf der Bühne, dieses mal allerdings nicht um zu rappen, sondern um zu stagediven. Tatsächlich konnte Nura sich auch recht lange über den Köpfen der Menge halten, bis sie kurz untertauchte und wenig später auf jemandes Schultern sitzend wieder zu sehen war. Bevor sich Rins Auftritt dann wirklich dem Ende zuneigte, spielte er noch ein zweites Mal "Dior2001", da er seine Fans kaum anders gehen lassen könne.

Schlussendlich war Modus Mio live in Dortmund ein voller Erfolg mit Potenzial für noch größere Veranstaltungen. Vielleicht erwarten uns in Zukunft sogar mehrtägige Open Air Festivals, basierend auf jeglichen Spotify Playlists. Das was früher Radios als wesentliche Meinungsbildner auf die Beine gestellt haben, übernimmt demnächst also ein Global Player der Musikindustrie. Und auch wenn das viele neue Möglichkeiten bietet, sollte man dennoch genau abwägen, inwiefern die Selektion eines Streamingdienstes Chancengleichheit und musikalische Vielfalt garantieren kann. Der Appell sollte also sein auch weiterhin über den Tellerrand des Marktführers zu blicken, um die Relevanz von Künstlern nicht an der Anzahl ihrer Platzierungen in Playlists abhängig zu machen, sondern an ihrer legacy. In diesem Sinne: support your local artists!

Fotos: Basti Mowka & Rebecca Ruetten




Sonntag, 30. September 2018

Juse Ju im Interview | Shibuya Crossing Tour 2018

27. September 2018 - Juse Ju im Druckluft. Das bedeutet Skateboard Tricks, Moshpits und vielleicht auch ein wenig Nostalgie, wenn man an eine Battle Cypher erinnert wird, für die vor mehreren Jahren in das entlegene Oberhausen gereist wurde. Juse Ju trägt vor 300 Leuten seine Geschichte vor, von der man nun auch ein kleiner Teil zu sein scheint. Das erste Kapitel dieser Geschichte ist in seinem Coming of Age Album auffindbar. Shibuya Crossing heißt es und handelt von einer rastlosen Kindheit in allen Farben leuchtender LED's. Doch noch vor dem Konzert konnte ich ihn zum Interview treffen:

Du bist neben Kirchheim auch in den USA und Japan groß geworden, das spielt auf deinem Album eine große Rolle, würdest du auch sagen, dass es so für dich als Mensch die wichtigste und prägendste Zeit war?

Juse Ju: USA war schon eine lustige Erfahrung, aber Japan ist auf jeden Fall eine sehr krass prägende Zeit gewesen, weil ich von Japan von sechs bis elf Jahren gelebt habe. Da sagt man jetzt, okay, fünf Jahre ist jetzt vielleicht gar nicht so krass, aber vor sechs bist du ja kein Mensch, der jetzt alleine irgendwo hingeht. Da bist du erst einmal 3-4 Jahre ein Kleinkind und checkst gar nichts. Dass ich überhaupt alleine zur Schule gegangen bin und alleine Sachen gemacht habe, habe ich ja zum ersten Mal in Japan so richtig gemacht. Erstes eigenes Geld, eingeschult werden, quasi von einem Anhängsel deiner Eltern zu einer Person werden, das habe ich halt in Japan durchlebt und deshalb war das auf jeden Fall eine sehr sehr prägende Zeit, weil das ja das erste Mal ist, dass man sich so richtig sozial irgendwo einbindet, das war dann halt eine besondere Situation. Aber die Japaner sind insgesamt sehr sozial, insofern ist es auch ganz gut da.

Kannst du dich heutzutage irgendwo, an einem physischen Ort, zuhause oder angekommen fühlen?

Juse Ju: Nein, ich glaube aber, dass sich viele Leute nicht angekommen fühlen. Ich glaube alle Leute die in Berlin leben fühlen sich nicht angekommen. Auch in Berlin nicht. Und auch wenn Kraftklub das in diesem Song irgendwie sagen. „Berlin, ich fühle mich schon richtig angekommen“ und so. Ich weiß es nicht ob es daran liegt, dass ich in so vielen Ländern aufgewachsen bin, aber ich hab jetzt nicht einen Ruhepunkt oder so. Meine Eltern leben auch nicht mehr in Kirchheim, worum der erste Song geht, die leben in München. Ich habe keinen Spot wo es immer hingeht. Schade. Ich hätte gerne ein Kinderzimmer wie in amerikanischen Filmen. Mit einer Tapete die dann immer noch so bleibt, so eine Kindertapete mit Raketen und Astronauten drauf, wo ich dann immer wieder nach Hause gehen kann: „Mum! Did you change something in my room?“ So stelle ich mir das vor. Aber so etwas habe ich nicht. Schade.

Vermisst du etwas konkret in Deutschland, was es in Japan beispielsweise gab?

Juse Ju: Jedes Land hat ja positive Sachen. Ich bin schon ein ziemlicher Alman, das heißt ich fühle mich an sich in Deutschland schon am verstandensten. Ich bin halt kulturell komplett ein Deutscher. Diese ganzen Leute, die in Deutschland rumrennen und sagen: „Ich bin nicht so ein Alman, ich bin nicht so ein Deutscher!“, das ist lächerlich. Die sind halt komplett alman. Denen fällt das nur nicht auf, was für Almans sie sind, weil sie noch nie in einer Kultur gelebt haben, die nicht alman ist. Selbst wenn du jetzt nach Holland ziehst, oder meinetwegen nach Spanien, was auch schon anders ist, aber alles in Europa, oder auch USA, ist ja ziemlich ähnlich wie Deutschland. Wenn du aber mal nach Japan ziehst, ist es vom state of mind schon echt anders. Obwohl die ja auch eine Industrienation sind. Klar, Japan hat positive Aspekte, ich habe auf jeden Fall immer sehr Sehnsucht nach Japan, aber auf der anderen Seite hat Japan auch sehr negative Seiten.

Könntest du dir vorstellen wieder eine längere Zeit in Japan zu leben?

Juse Ju: Im Moment steht es einfach überhaupt nicht im Raum. Das geht auch einfach beruflich nicht. Es gibt da einfach nichts für mich zu tun und in Japan brauchst du sehr viel Geld. Das ist zum Beispiel ein negativer Aspekt in Japan, dass sich schon sehr viel immer um Geld dreht. Mehr als in Deutschland. Ich sag mal, das alternative Denken in Richtung „es muss nicht alles Konsum sein“, ist ein bisschen schwächer dort, wobei man sagen muss, dass es mit Sicherheit auch an der Region liegt. Tokio ist halt schon eine sehr auf Konsum ausgerichtete Stadt. Ich kann mir vorstellen, dass es schon auch Orte gibt, wo die Mentalität anders ist. Aber ich kenne halt vom Wohnen her nur Tokio gut und da ist es auf jeden Fall so. Also nein, ich werde in den nächsten Jahren jedenfalls nicht nach Japan ziehen, aber ich war in den letzten zwei Jahren jeweils zwei Wochen da. Und finde es cool.

Hast du generell ein größeres Interesse daran, neue Kulturen oder Regionen kennenzulernen und davon etwas für dich persönlich mitzunehmen?

Juse Ju: Ich hab schon irgendwie einen Faible dafür, mich in einen Auslandsaufenthalt rein zu werfen. Ich meine, im Endeffekt habe ich das 2010 mit Japan auch noch mal gemacht. Ich war nach 1993 zum ersten Mal nach Japan zurückgekommen, also erst 17 Jahre später. Das war schon noch mal eine neue Erfahrung, obwohl ich das alles natürlich kannte. Aber sich noch einmal neu zurechtzufinden finde ich auch ganz geil. Es ist ja nicht mal so, dass ich das nur mit diesen Ländern habe, sondern auch mit Städten. Ich habe ja auch schon in München, in Köln, in Kirchheim, Berlin und so gelebt. Ich habe ja in vielen Städten gelebt und mich immer neu orientiert, das macht mir schon Spaß. Aber im Moment ist es einfach so, dass es keinen Sinn ergeben würde. Ich bin auch nicht mehr 22 und kann mir irgendwie überlegen, dass ich morgen irgendwo anders hinziehe. Ich habe mittlerweile einfach Sachen, die ich verfolgen muss und habe jetzt nicht mehr eine Zeit, wo ich sagen kann: „Hey, ich habe jetzt mein Studium beendet, jetzt bin ich frei und kann machen was ich will.“ Sondern ich bin jetzt auch ein bisschen stärker eingebunden als früher.

Wo du jetzt sowieso erst einmal in Deutschland unterwegs bist, dein erstes Tourwochenende hast du schon hinter dir, wie fühlt es sich an eine Headliner Tour zu spielen, nachdem du schon das ein oder andere Mal als Support Act mit dabei warst?

Juse Ju: Ich glaube es ist sehr gut, schon zwei so große Touren mitgemacht zu haben. Eigentlich drei um genau zu sein. Fatoni habe ich insgesamt zweimal begleitet und die Antilopen Gang eigentlich anderthalb mal, dadurch hat man eben schon viel erlebt. Tour ist ja auch ein Job, den man irgendwie lernen muss. Deshalb war es ganz gut, dass ich mich schon mal darauf vorbereiten konnte, mal so orientieren konnte. Und ja natürlich ist das nicht zu vergleichen. Als Opener bist du der Spaßvogel der am Anfang ein bisschen Warm Up macht und danach müssen die anderen liefern. Und heute muss ich halt liefern. Ich spiele auch nicht mehr nur 30 oder 40 Minuten, sondern ich spiele halt jetzt 70 oder 80 Minuten.

Zudem hast du jetzt wahrscheinlich auch ein kleineres Team hinter dir, als die Antilopen Gang beispielsweise.

Juse Ju: Ja, aber mein jetziges Team ist nicht so viel anders als das der ersten Fatoni Tour, würde ich sagen. Da waren wir auch in einem Sprinter unterwegs und da waren wir auch irgendwie fünf, sechs Leute. Mehr ist es dann auch nicht. Aber bei der Antilopen Gang hast du als Vorgruppe ja auch nicht dieses Team. Dieses Team arbeitet ja nicht für dich, die arbeiten ja für jemand anders. Bei Fatoni ist es ein bisschen anders. Da muss man sagen, waren wir alle das Team, so ist es ein bisschen auf meiner Tour auch. Der Curly begleitet mich jetzt als Vorgruppe, aber da gibt es nicht diese Hierarchien, die sind nicht so stark. Desto größer die Touren werden, desto mehr merkst du diese Hierarchien. Die Antilopen Gang sind auch sau coole Typen, aber da merkt man, das es halt eine große Produktion ist. Da musst du dich als Vorgruppe auch ein bisschen hinten anstellen, aber das ist ja klar, die Leute zahlen ja nicht für mich, die haben ja nicht für mich das Ticket gekauft. Jetzt schon! Heute schon! Aber bei der Antilopen Gang, wenn da 3.500 Leute in die Columbiahalle kommen, glaube ich nicht, dass die die Tickets wegen mir gekauft haben. Und klar, da stelle ich mich dann auch gerne hinten an. Das ist kein Problem. Nur wenn ich jetzt selber 300 Tickets am Abend verkaufen kann, dann werde ich keinen mehr supporten, der selber nur 300 Tickets verkauft. Was heißt „nur“, 300 Tickets sind super! Also ich finde es mega krass. Aber wenn jetzt irgendwer, was weiß ich, Casper kommt, dann müsste ich mich ja auch hinten anstellen.

Was deine live Show betrifft, konntest du deine Ideen in den kleinen Clubs kompromisslos umsetzten, eben so wie du dir das vorgestellt hast?

Juse Ju: Meine ganze Show ist ja darauf ausgerichtet, quasi sehr interaktiv und sehr nah dran zu sein. Größere Bühnen wären eher mein Problem. Ab dem Zeitpunkt, wo sage ich mal, über 1000 da sind, wird es schwer so direkt mit den Leuten zu kommunizieren. Die Songs sind natürlich das selbe, aber auf den Festivals zum Beispiel habe ich schon auch andere Sachen ausprobiert. Da hatte ich auch eine Tänzerin dabei, also eine Breakerin. Die hat nicht an der Stange getanzt (lacht)! Die kam dann mit einem Triple Salto auf die Bühne gesprungen und hat andere Powermoves gemacht.

Stichwort Festivals: Machen dir Festivalshows oder deine eigenen Konzerte mehr Spaß?

Juse Ju: Das ist total abhängig vom Ort. Es gab bestimmt Festivals die cooler waren als mache Tourgigs. Aber an sich sind Tourgigs, wenn du eine eigene Tour spielst, immer am besten, weil du auf die Bühne gehst und da sind Leute nur wegen dir. Das hast du ja nirgends anders. Auf einem Festival, da kommen schon auch ein paar Leute wegen dir, aber die gucken sich halt das Gesamtprogramm an. Die sagen: „Ja, gehen wir zu Juse Ju, gehen wir zu Tocotronic, gehen wir zu haste nicht gesehen.“ Aber hier ist es halt noch mal anders, weil ich jetzt auf der Tour gemerkt habe, dass ich auf die Bühne komme und die Leute vom ersten Song an mitrappen. Das ist gut, denn dann muss ich weniger rappen!

Also ist die Stimmung auf den Konzerten auch, du sagtest, sehr eng, nah an den Leuten, und intensiv vielleicht?

Juse Ju: Ja hoffentlich! Es ist ja auch nicht jeden Abend gleich. In Leipzig zum Beispiel, das war der Tourauftakt, da war es mega krass! Da waren 350 Leute und das war vom ersten Song an, ich sag jetzt nicht was der erste Song ist, sonst überrasche ich keinen mehr auf Tour, aber vom ersten Song an sind alle gesprungen und abgegangen und haben gepogt und so, das ist halt schon noch mal eine ganz andere Hausnummer. Das hast du nicht, wenn du nicht ein Star bist, auf einem Festival. Und ich bin kein Star, ich bin sehr weit davon entfernt, also sehr weit! Ich glaube die Antilopen Gang hat das auch nicht so stark. Wenn du Marteria bist, dann hast du das wahrscheinlich.

Hast du bereits eine besondere Anekdote zu deiner Tour?

Juse Ju: Ja! Ich habe es tatsächlich geschafft gleich am ersten Tag das dümmste zu tun, was es gibt. Wir sind nach Leipzig gefahren, steigen aus und haben die Location sogar ein bisschen früher öffnen lassen, sogar Geld dafür bezahlt, damit wir mein neues Live Set ausprobieren können. Wir hatten da eine MPC Live, das ist jetzt alles ein bisschen technisch, jedenfalls brauchten wir länger um das einzumischen und die habe ich mal schön in Berlin gelassen. Du musst dir vorstellen, wir kommen rein und ich merke: Ah, ich hab quasi die Band vergessen. Ich war bei meinem ersten Gig und habe das wichtigste, was man vergessen kann, vergessen. Dann musste Fatoni aus Berlin zu mir nach Hause gehen, dort das Teil holen und dann aus Berlin nach Leipzig fahren. Darüber hat er dann eine ganze Radiosendung gemacht. Da habe ich mir also bei meinem ersten Tourgig den Fail geleistet, der geht. Aber im Endeffekt ist es ja gut ausgegangen, weil die Leute in Leipzig deshalb das Glück hatten einfach so einen free Fatoni Gastauftritt zu haben, weil der natürlich nicht dahin kommt und dann sagt: „Ne, jetzt rappe ich nicht.“, sondern: „Ich muss auch!“ und „Lass uns die Features spielen, geil, geil, geil!“ Ja, fand er geil.

War es dein Ziel, irgendwann eine eigene Tour zu spielen?

Juse Ju: Ja. Ich meine, wenn du Support-Touren spielst, dann denkst du natürlich auch schon darüber nach eine eigene Tour zu spielen. Aber ich weiß nicht, die Leute wollen immer so diesen american dream mäßigen „i had a goal and i reached the“, aber mich interessiert das nicht so sehr darüber zu reden, was man irgendwie möchte, sondern du musst halt machen. Wenn es dann möglich ist, ist es schon geil und dann kann man das machen, aber irgendwie rumzulaufen und zu sagen: „Ja, noch bin ich Support, aber bald spiele ich meine eigene Tour!“, wo ich so denke: Ja vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Mir kommt es eher darauf an Sachen gut zu machen. Wenn die dann gut sind, ist es geil.

Das hat bei deinem Album ja auch funktioniert. Hast du damit gerechnet, dass es derart viral geht?

Juse Ju: Ehrlich gesagt doch. Also ich hatte für das Album Ziele, aber ich bin Mitte 30. Ich sehe das immer bei so jungen Rappern, auch wenn man mit denen redet, dass die wahnsinnig enttäuscht sind, wenn sie ihr erstes Release raus gebracht haben und sie nicht durch die Decke gehen. Da denkt man: Ja natürlich nicht. Das passiert halt mal bei einem Cro und das passiert halt mal bei Anderen, aber selbst die Leute, die heute krass erfolgreich sind, deren erstes oder zweites Release war auch nicht so krass. Ich habe mir halt überlegt, was ein realistisches Ziel ist, was ich mit dem Album erreichen kann. Und da war schon das Ziel sozusagen, dass ich nach dem Album eine Tour spielen kann und dass das Album auf jeden Fall gute Bewertungen bekommt, dass es Leuten gefällt, all diese Sachen eben. Und das Album hat die Hoffnungen, die ich hatte, auf jeden Fall erfüllt. Ich hatte ja auch nicht so Wolkenkuckucksheim Hoffnungen, so etwas wie: „Boah, wenn das Album kommt, dann starte ich so krass durch.“ Dafür bin ich einfach viel zu lange in der Medienbranche. Ich arbeite ja auch beim Radio und ich weiß ja, dass die Musik, die ich mache, ich sag mal so, auf Lyrics geeichter Hip Hop, dass das nicht das ist, womit du halt Millionen scheffelst. Da gibt es eine Szene, der das gefällt. Da gibt es dann Figuren wie Fatoni oder Audio88 & Yassin oder Mädness & Döll, die halt in dieser Szene am Start sind. Ich wollte mit denen in einer Linie genannt werden, was davor definitiv nicht war, aber jetzt langsam geht es halt in die Richtung. Mir war aber auch klar, dass ich nicht überraschenderweise ein Nummer eins Album haben werde, das passiert natürlich nicht. Ich weiß ja auch wie viel gestreamt wird und wie das mit dem Streaming aussieht. Und so lange ich nicht irgendwie Mumble Autotune Rap Zeug mit Gangster Inhalt mache, wird das auch nicht so viel gehört. Ich mache halt Musik für Leute, ich sag mal, über 20. Leute über 20 haben meistens besseres zu tun, als den ganzen Tag ihren Free Spotify Account auf Retour laufen zu lassen und deshalb machst du damit halt nicht so viele Streams. Du bist nicht so hyped, aber du erreichst trotzdem ein Publikum.

Diese ganze Medienwelt, die tun immer so als gäbe es sozusagen gut gemachte Sachen nicht. Die Labels schielen ja immer eher auf diese Explosionen. Heute hot, morgen flop und so etwas. Das ist aber nicht das, was ich mache, sondern ich bediene ein Publikum, was man sich langsam aufbaut, aber die dann auch dabeibleiben. Und die halt älter sind und sich deshalb nicht wie Teenies verhalten. Aber wenn du heutzutage viel Aufmerksamkeit willst, brauchst du Klicks. Und die kriegst du nur durch die Teenager. Es gibt auch einfach Bands, die kennen Teenager gar nicht und verkaufen trotzdem 1500er Hallen aus. Ohne, dass sie viel machen müssen. Das ist halt der Unterschied, ob du irgendwie auf Teenie-Pausenhof-Relevanz gehen willst oder ob du halt Musikhörer ansprechen willst. Und da ich selber kein Teenie auf dem Pausenhof mehr bin, interessiert es mich viel mehr Mittzwanziger bis Mittdreißiger anzusprechen, weil ich auch über gar nichts anderes reden kann, als deren Welt, weil ich in der anderen Welt nicht bin. Was soll ich denn den Teenies erzählen? Ich habe denen nichts zu sagen.

Das war auch die große Debatte, als die Spotify Streams für jegliche Auszeichnungen herabgesetzt wurden, weil viele große deutsche Pop-Musiker gar nicht auf dieser Plattform vertreten sind. Ergo von dieser Entscheidung überhaupt nicht betroffen sind, da deren Zielgruppe auch nicht über Spotify erreicht wird.

Juse Ju: Das ist ganz interessant, die Musikwelt ist da total gespalten. Ich meine, dass ist ja auch cool. Ich spiele eine Tour, wo mehrere Städte auch hochverlegt oder ausverkauft wurden. Wenn jetzt irgendein schlauer Teenager auf die Idee käme auf meine Streams zu gucken und guckt sich dann die Streams von seinen Lieblingskünstlern an, dann denkt er: „Hä, das ist ja gar nichts!“ Ich wette aber, dass viele Künstler, die die hören, so eine Tour gar nicht spielen können, weil das Live Geschäft bei denen einfach nicht läuft. Ich verkaufe genauso viele Ticktes wie Platten und andere verkaufen halt das zehnfache an Platten, was ich verkaufe, aber zur gleichen Zeit spielen sie die gleiche Tour wie ich, das ist halt absurd. Aber es ist halt so wie es ist. Das ist halt so Buisness Zeug, da sollte man sich auch nicht so viel mit beschäftigen.

Dazu muss man überlegen an welche Zielgruppe sich beispielsweise Künstler der Modus-Mio Playlist richten. Und im Alter von 12-13 Jahren verbringt man normalerweise noch nicht so viel Zeit auf Konzerten.

Juse Ju: Ja, dürfen die ja auch gar nicht. Das ist ja auch gesetzlich gar nicht erlaubt. Die gehen dann mit ihren Eltern dahin, insofern kann man gleich zwei Tickets verkaufen. Das Interessante ist ja, das was unter dem Titel Deutschrap läuft, also was allgemein öffentlich oder in den Playlisten als Deutschrap fungiert, hat ja quasi mit dem, was ich mache, oder auch ganz viele andere Leute machen, gar nichts mehr zu tun. Ich fühle mich da ja auch gar nicht Zuhause. Die Leute denken immer Eminem, oder generell diese alten Rapper, ich bin ja jetzt so mittelalt, ich bin ja so alt wie Casper und Marteria, die hassen das Moderne und das stimmt ja überhaupt nicht. Ich habe ja eine Radiosendung und jeder, der die hört weiß, dass ich das auch feiere. Ich finde auch Trap und diese ganzen Sachen gut. Ich habe nur das Gefühl, dass es jetzt gerade, weil das beim Streaming so krass abgeht, eben sehr viele machen. Die Leute, die in diesem Genre was krasses und neues gemacht haben, ein Ufo oder ein LGoony, die finde ich ja auch sehr gut und die höre ich auch gerne, „ey yo flex up!“. Beverly Hills von Ufo ist auch ein starker Song. Es ist nur sehr vereinheitlicht, würde ich sagen.

Und mittlerweile, wenn du jetzt einen Bausa nimmst, der ja auch sehr populär ist, ist es ja gar nicht despektierlich gemeint, wenn ich sage, das ist ja kein Rap in dem Sinne. Ich meine, er singt ja eigentlich nur. Der hat sicher auch mal gerappt, aber ich weiß nicht wie man diese Musikrichtung dann nennt, Post-R‘n‘B oder so. Das ist ja voll okay, das kann man ja schon machen, aber diese Musikrichtung entwickelt sich da sehr stark hin. Und ich bin ja noch sehr stark auf Rap fokussiert, also ich singe ja fast gar nicht und benutze ganz selten Autotune. Ich habe so das Gefühl, dass ich näher an einer Band wie Von Wegen Lisbeth dran bin, als ein Bausa.

Was ich auch ganz interessant fand: Im Interview mit der Backspin hat Alligatoah gesagt, dass ihm immer vorgeworfen wird, dass er gar kein Rapper mehr sei. Das hat er dann von sich geschoben und aufgezeigt, dass seine Parts in jedem Song gerappt sind. Gleichzeitig singen andere vermeintliche Rapper überwiegend und werden mehr dem Rap Jargon zugeordnet, als er selbst.

Juse Ju: Ich brauche ja auch nicht diesen Stempel Deutschrap. Fakt ist, dass ich sehr straighten Rap mache, also ich rappe immer. Ich kann auch nichts anderes. Ich bin vor allem auch noch ein Nerd, was so Patterns und Skills und so angeht. Ich bin da so altmodisch, ich bin so wie VSK. Ich fühle mich in diesem Stempel Deutschrap auf jeden Fall nicht Zuhause, was das heutzutage halt bedeutet. Ich will aber trotzdem sagen, dass ich deutschsprachigen Rap mache. Aber natürlich passe ich in diese Listen, die auch Deutschrap heißen, nicht rein. Aber da passt auch Casper nicht rein, da passt auch das neue Album von denen, 1982, nicht rein, weil die da ja rappen. Wir sind da wirklich sehr weit auseinander. Also ich kann mich in den ganzen Jahren, in denen ich jetzt im deutschen Rap unterwegs bin nicht erinnern, dass es mal so weit auseinander war. Also dieser Sound von „denen“ und der Sound von „uns“ sozusagen.

Findest du Deutschrap heutzutage noch spannend?

Juse Ju: Es war sehr spannend, als es vor ein paar Jahren mit Moneyboy, der das Ganze so ein bisschen angestoßen hat, und Haftbefehls Russisch Roulette, was auch ein Album mit trappigeren Beats war, losging. Wenn man diese Autotune Geschichte nimmt, gab es diese Entwicklung vor drei, vier oder fünf Jahren. Klar, die Amis haben es schon früher gemacht, aber die es dann in Deutschland gemacht haben fand ich schon sehr interessant und auch sehr geil und habe auch vieles gefeiert. Mittlerweile sehe ich halt keine Innovation. Wer das im Moment noch am unterhaltsamsten und am besten macht ist Fler. Ich bin wie gesagt Musikredakteur und mache eine Deutschrap Sendung. Das heißt, ich höre mir das alles an. Ich sehe immer schon am Titelbild von YouTube, wenn ich sehe, das ist ein neuer Rapper, und denke: Ah, blaues und rosanes Licht aufgenommen mit einer Spiegelreflex. Lass mich raten, wenn ich darauf komme, fängt es gleich an mit „Ja, Ja, Ja, Ja“. Und wenn ich es dann anklicke passiert genau das. Dann denke ich mir: Hm, okay. Aber da sind wir wieder beim Gesetz von jeglicher Form von Kunst: Du bist nicht fresh, dann bist du nicht fresh. Dann bist du uninteressant. Leute die kritisiert werden, versuchen sich immer nur dagegen zu wehren und sagen: „Ja, die checken diese Musik nicht!“ Doch, doch, ich checke diese Musik. Die gibt es auch in gut, aber du bist halt schlecht. Du bist halt lame. Mich langweilt es halt. Das in diesen Playlisten kann ich mir wirklich nicht anhören. Das geht mir halt auf den Sack. Am Ende ist es ja die Frage ob du einen eigenen Style hast, etwas neues machst, andere Perspektiven eröffnest und ob du die Leute emotional ansprichst.

Also würdest du nicht mit Eminem mitgehen, der in einem Song von Kamikaze aufgreift, dass er das, was heutzutage im Rap abgeht, schlichtweg nicht mehr versteht und damit nichts anfangen kann?



Juse Ju: Nein. Ich finde ja gerade in Amiland gibt es schon auch echt Leute die in diesem Gangster Trap Ding wirklich verdammt geil sind, wobei es auch nicht dieser Trap ist, wie man sich das vorstellt. 21 Savage finde ich zum Beispiel ziemlich dope. Gerade dieses No Heart. Er hat einfach eine geile Art. Der wirkt auch immer so, als würde er nebenbei irgendwas sagen. Ich glaube Eminem regt sich auch mehr über diese Teenager auf. Über Lil Pump hat er sich, glaube ich, sehr geärgert. Und bei Lil Pump muss man sagen, dass das einzige was er kann „Uh“ sagen ist. Aber wenn er damit die Kids erwischt ist das halt so. Lil Pump zum Beispiel interessiert mich jetzt nicht. Aber Migos würden mich schon interessieren. Oder halt 21 Savage. In den USA hast du aber allgemein als wacker Künstler wahrscheinlich einfach keine Chance. Guck dir mal an wer in den USA deine Konkurrenz ist, da kannst du ja nicht so scheiße sein. Nicki Minaj zum Beispiel ist ja total pop, aber du musst erst mal so rappen können wie sie. Bei den Deutschen man kann ja schon benennen nach wem sie sich orientieren. Als ich jünger war waren halt viele auf Dipset hängen geblieben und haben sich halt daran orientiert. Dann kam Lil Wayne, an dem haben sich dann auch viele orientiert. Dann kamen die Trap Leute. Drake, Kanye, Travis Scott, Young Thug, Lil B, das sind so die woran sich die Leute in Deutschland aktuell dran orientieren. Manche kriegen es halt besser hin und manche schlechter. Aber was die machen wollen ist schon immer noch Ami-Style, also es ist jetzt nicht so wie in anderen Musikrichtungen. Wenn du elektronische Musik nimmst, zum Beispiel Kraftwerk, da gingen aus Deutschland richtige Innovationen heraus. Das hast du im Rap eigentlich nicht, würde ich sagen.

Teilweise kommt die Inspiration auch aus Frankreich. Denkst du, dass Deutschland jemals diese Position einnehmen wird und als Inspiration für andere Länder fungieren wird?

Juse Ju: Frankreich ist ein gutes Stichwort! Das ist ja das Interessante gewesen, dass die deutschen Gangster Rapper, die erfolgreich wurden, eben nicht versucht haben die Amis zu kopieren, sondern dass die sich an Frankreich orientiert haben. Das war ja auch viel näher an der Lebenswelt von Leuten in Deutschland, als die amerikanischen Ghettos. Also klar, an Frankreich haben sich viele orientiert. Dass aber auch ziemlich gut und auch zurecht. Frankreich entwickelt auch eher einen eigenen Stil als Deutschland, würde ich sagen Dieser Techno Rap war vielleicht etwas wo ich gedacht habe, dass es das nicht irgendwo anders gibt. Es gab ja mal Mitte der Zweitausender eine Welle, wo alle Techno Songs gemacht haben. Das war eine sehr deutsche Entwicklung, das habe ich nicht woanders gesehen, aber ansonsten eher nicht.


Vielen Dank Juse Ju!
 
Copyright © 2019 MAKE RAP, NOT WAR. Designed by OddThemes