Chemnitz Anfang Juli 2019: Es sind angenehme 24 Grad an diesem Donnerstagabend, als sich dutzende Menschen am Karl-Marx-Monument im Herzen der Stadt versammelten. Doch nicht nur da tummeln sie sich, die Jugendlichen, Erwachsenen, Eltern, Kinder und Renter - und eigentlich alle friedliebenden Menschen dieser Stadt. Und des ganzen Landes. Nahezu 50 Locations, verteilt im gesamten innerstädtischen Raum, öffneten ihre Pforten für eine nochmals vielfache Anzahl an kulturellen Angeboten wie Musik, Comedy, Workshops und Diskussionsrunden. An diesem Abend erstrahlte die sächsische Großstadt in allen erdenklichen Farben, in Freude und Akzeptanz, zu den Klängen musikalischer Hochkaräter wie Herbert Grönemeyer, Alligatoah, Tocotronic oder Fatoni. Fast ein Jahr nach dem #wirsindmehr Konzert, welches als Reaktion auf ausländerfeindliche Übergriffe und rechte Demonstrationen veranstaltet wurde, möchten die Veranstalter insbesondere im Hinblick auf die bevorstehenden Landtagswahlen in Sachsen, aber auch in Brandenburg und Thüringen, Aufmerksamkeit gewinnen. Aus #wirsindmehr, wird zehn Monate später #wirbleibenmehr.
Für eine tolerante und bunte Gesellschaft.
Gegen Rassismus und rechte Hetze.
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K.I.Z. Fans @ Kosmonaut Festival (© Annika Schwarze)
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Parallel dazu: Das bereits zum siebten Mal in Folge tagende Kosmonaut Festival am Stausee Oberrabenstein. Neben dem früheren Standort des Splash! Festivals in den frühen 2000ern, hat das Kosmonaut mehr mit dem womöglichen Aushängeschild deutscher HipHop Festivals gemeinsam, als man zuvor vermuten mag. So genießt auch das Kosmonaut Festival einen vergleichbaren exklusiv Status seitens manch eines deutschen Künstlers. Mehrere Alben wurden hier angekündigt, und in diesem Jahr durften den gut 15.000 Besuchern eine exklusive K.I.Z. Festivalshow in Deutschland zuteilwerden. Doch auch abseits des Mainstreams nahmen etliche Ausnahmekünstler der Juice Reviewspalten in diesem Jahr die zahlreichen Bühnen des Festivals ein. Dabei war es egal, wie viele Feierwütige sich vor den Schauplätzen versammelten, eine aufheizende Stimmung herrschte beinahe überall. So brachten bereits am Freitag Acts wie Tua, Nura und Yassin, die allesamt in der ersten Hälfte dieses Jahres wichtige Alben für die Szene veröffentlichten, die Menge zum beben. Neben dröhnender Bässe gab es darüber hinaus vielerlei musikbezogenen Input. Erstmals in der Geschichte der Veranstaltung gab es Raum für Austausch und offene Ohren in Form der Spotify Podcast Bühne. Dort tagten der Deutschrappodcast des Bayrischen Rundfunks mit Falk Schacht und Jule Wasabi, sowie Machiavelli - der Rap und Politik Podcast mit Jan Kawelke und Vassili Golod. Letztere zogen Serious Klein als Special Guest heran und sammelten sogleich Material für ihre neue Episode („Gott, komplex“ - zu hören auf Spotify, iTunes und der in der ARD Mediathek).
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Yassin auf der Kosmo Wash Stage @ Kosmonaut Festival (© Annika Schwarze) |
Doch das Kosmonaut Festival wäre nicht das Kosmonaut Festival, wenn sich die Initiatoren rund um die Band Kraftklub nicht wieder einmal etwas ganz besonderes ausgedacht hätten. Schier unentwegt rankten sich auch in diesem Jahr die Gerüchte um den beliebten Slot des geheimen Headliners. Mit einem schnippischen Grinsen kündigten Felix, Till, Steffen, Karl und Max den diesjährigen Artist an und übertrafen sich schließlich mal wieder selbst, als der schwarze Vorhang letztendlich fiel, die Neugierde vor der Bühne ihren Hochpunkt erreicht hatte und plötzlich H.P. Baxxter auf der Bühne stand. Mit viel, wirklich sehr viel Pyrotechnik, und damit meine ich insbesondere eine funkenwerfende E-Gitarre, exklusiven Scooter Cheerleadern und auserlesenem deutschen Techno, fand ein unfassbarerer Rave statt, an dem tatsächlich ein jeder seine Freude hatte. Schnell wurden die ausdrucksstarken drei magischen Wörter des Scooter Jargons, und wir wissen alle welche ich damit meine, zum Running Gag des gesamten restlichen Wochenendes. Niemand hatte wohl damit gerechnet und ebenso niemand hatte jemals daran geglaubt, so etwas wirklich zu brauchen. Doch die in Scharen erschienenen Festivalbesucher wurden eines besseren belehrt.
Doch der aufreibende Auftritt von Scooter sollte weitaus nicht das einzige Highlight bleiben. Denn die traditionelle Aftershow der Drunken Masters stand noch bevor. Das gewohnt powervolle Set zwischen den charakteristischen, sich drehenden Bürsten der Carwash Stage, versammelte zum krönenden Abschluss des Wochenendes noch einmal alle auf der kleinen Bühne, die zu feiern wussten. So geschah es, dass sich K.I.Z, BHZ, Felly, Larissa Rieß aka Lari Luke und Felix Brummer euphorisch in den Armen lagen und das diesjährige Kosmonaut Festival zu Wonderwall und Don’t Look Back In Anger ausklingen ließen.
#wirbleibenmehr und das Kosmonaut Festival bewiesen wieder einmal, dass man in Chemnitz und in ganz Sachsen nicht nur auf Hass und Ausgrenzung stößt. Kein anderes Festival in Deutschland kann von sich behaupten, so einen entspannten und liebevollen Vibe zu haben. Wo man das Gefühl hat, mit offenen Armen von jedem einzelnen begrüßt zu werden. Wo jeder so sein kann, wie er möchte und für einen Augenblick alles außerhalb der Tore des Stausees Oberrabenstein hinter sich lassen kann.
#wirbleibenmehr und das Kosmonaut Festival bewiesen wieder einmal, dass man in Chemnitz und in ganz Sachsen nicht nur auf Hass und Ausgrenzung stößt. Kein anderes Festival in Deutschland kann von sich behaupten, so einen entspannten und liebevollen Vibe zu haben. Wo man das Gefühl hat, mit offenen Armen von jedem einzelnen begrüßt zu werden. Wo jeder so sein kann, wie er möchte und für einen Augenblick alles außerhalb der Tore des Stausees Oberrabenstein hinter sich lassen kann.
Chemnitz, Anfang September 2019: Sommerliche 27 Grad am Tag des meteorologischen Herbstanfangs, sowie des Wahltages in Sachsen. Von dem harmonischen Vibe ist zwei Monate später nicht mehr viel zu spüren. Dafür eine Wahlbeteiligung von 66,4%, und damit ein Anstieg um fast 19 Prozentpunkte zur vorigen Landtagswahl, die auf bewegte fünf Jahre schließen lässt. Bewegte Jahre, die die Gesellschaft spalten, so sagt man. Eine Partei im sächsischen Landtag, bei der man erleichtert ist, dass sie nur haarscharf am Wahlsieg gescheitert ist. Dennoch zugleich, heutzutage, nicht einmal verwundert ist.
Aber solange engagierte Menschen weiter kämpfen und Veranstaltungen wie das Kosmonaut Festival oder #wirbleibenmehr auf die Beine stellen, gibt es vielleicht doch noch so etwas wie eine Perspektive. Denn was gibt es sonst, was Menschen so wunderbar und bedingungslos miteinander verbindet, außer Musik.
Aber solange engagierte Menschen weiter kämpfen und Veranstaltungen wie das Kosmonaut Festival oder #wirbleibenmehr auf die Beine stellen, gibt es vielleicht doch noch so etwas wie eine Perspektive. Denn was gibt es sonst, was Menschen so wunderbar und bedingungslos miteinander verbindet, außer Musik.
Text & Bild: Annika Schwarze
Weitere Bilder des Kosmonaut Festivals hier.